Über Port Antonio schreibt mein Reiseführer, dass es „wie eine verwunschene Prinzessin darauf wartet, touristisch wachgeküsst zu werden“. Dazu hätte die Prinzessin aber noch ein Facelift nötig. Die letzten Reste von Farbe an den Kolonial-Villen lassen erahnen, wie bunt die Hafenstadt mal gewesen sein muss.
Ganz in der Nähe hat der Frenchmans Cove Beach dagegen den perfekten Look. Mit Hingabe fegen die Strandwärter jedes Blättchen vom Sand, als wäre es ein Zengarten. Ein glasklares Flüsschen schlängelt sich durch den Dschungel, sammelt sich in einem kleinen Teich und kurvt dann um einen riesigen, von Wald bewachsenen Felsen durch den weißen Strand ins Meer. An diesem Vormittag habe ich den kleinen Traumstrand ganz für mich allein. Dabei dient er oft als Kulisse für Shootings und Dreharbeiten, wenn das perfekte Tropenparadies gefragt ist.
Verträumt und wie vergessen von der Zeit sind viele Orte auf Jamaika. Auch der Botanische Garten von Castletown, den man auf dem Weg durch die Blue Mountains nach Kingston passiert. In den wunderschönen Jugendstil-Brunnen ist schon lange kein Wasser mehr geplätschert. Die Bäume und die riesigen Farne, die Palmen und Schlingpflanzen gedeihen aber prächtig und haben mit ihren Wurzeln die Wegepflasterung gesprengt. Wie eine natürliche Grenze trennt ein glasklarer Fluss die menschengemachte Idylle vom dichten Dschungel.
In den Blue Mountains lässt sich wunderbar durchatmen von der Hitze an der Küste. Die 50 Kilometer lange Gebirgskette, deren froschgrüne Wälder morgens oft eingepackt sind von dem berühmten bläulich schimmernden Nebel, ist ein Jamaika-Highlight. Endlos schlängeln sich die engen Straßen die Berge hinauf und würde man den riesigen Bambus und die Urwaldbäume links und rechts nicht regelmäßig mit Macheten bändigen, hätte der Wald wohl bald den löchrigen Asphalt verschluckt. Bis auf 2225 Meter steigen die Berge am Blue Mountain Peak in den Himmel, die Ausläufer reichen unmittelbar an den Stadtrand von Kingston heran. Am Ende der Old Hope Road im östlichen Stadtteil Kintyre stopfen sich die Menschen, die in Jamaikas Hauptstadt arbeiten, am späten Nachmittag in die rostigen Kleinbusse, die die City mit den Dörfern in den Bergen verbinden. Gerade noch im Menschengewimmel, hat mich zwei Minuten später eine enge Felsschlucht verschluckt, durch die sich neben der kleinen Straße auch noch Wasserfälle wild die Berge hinabstürzen.
In Gordon Town, das aus ein paar Häuschen und einer Reggae-Bar besteht, frage ich bei einem Pärchen nach meinem Tagesziel, dem Dörfchen Mavis Bank. „Am Dorfende rechts, Maaaaan“, singt mir Antony ins Auto, begleitet von einer süßlichen, weißen Ganja-Wolke, „wir wollen auch da hin, kannst Du uns mitnehmen, Maaaan?“ Klar, kann ich, Man! Netterweise wirft Antony den Joint-Stummel vorher ins Gras und streift sich dann gekonnt die langen Dreadlocks auf den Rücken, um die Haarpracht nicht an der Autotür zu ruinieren.
In der kühlen Abendluft der Blue Mountains stellt sich bei mir eine gewisse Leichtigkeit ein. Vielleicht liegt‘s auch an den wenigen Zügen Passivrauch.
Forres Park – ein kleines, einfaches Hotel hoch oben in den Blue Mountains, von Kingston in 1,5 h über eine endlose Bergstraße zu erreichen (aufpassen auf Schlaglöcher). Idealer Ausgangspunkt für Wanderungen in den Bergen, darunter den höchsten Berg Jamaikas, Blue Mountain Peak (2256 m, nur mit Kondition und Führer zu empfehlen, da der Weg nicht gut beschildert ist). Am Anfang des Dorfes zweigt die Einfahrt zur ältesten Kaffeefabrik Jamaicas ab, der Mavis Bank Central Factory. www.forrespark.com
Port Antonio ist die Hauptstadt des Parish Portland an der Nordost-Küste Jamaikas und liegt etwa 100 km nordöstlich von Kingston